Eine junge Frau beschließt in Uganda ein Kinderheim zu gründen. Eine erfolgreiche Geschichte von Mut und Engagement und wie ein Auslandsjahr das Leben verändert. Eva Döhr im Interview.
Eva Döhr ist die Vorsitzende der EWAKA Kinder- und Jugendförderung für Uganda e.V. Sie betreut mit Jonas Byaruhanga und Hausmüttern 31 hilfebedürftige Waisen- und Straßenkinder vor Ort und bringt außerdem deutschen Schülern in Workshops und Projekten die ostafrikanische Kultur näher. Ewaka ist Luganda und bedeutet Zuhause.
Die heute Einundzwanzigjährige ist nach dem Abitur 2013 für ein Jahr über das Weltwärtsprogramm nach Tansania gegangen, ohne vorher viel Erfahrung mit der ostafrikanischen Kultur zu haben. Was sie dort erlebt, gelernt und wie es zur Gründung von EWAKA gekommen ist, hat sie uns im Interview erzählt.
Wie kam es zu der Entscheidung, ein Kinderheim in Uganda zu eröffnen?
Das ist eine lange Geschichte. Aufgrund der Situation, in der ich in Tansania gelebt habe, also ohne Strom, Internet und Handyverbindung, erlitt ich erstmal einen Kulturschock. Meine Mitfreiwillige und ich hatten nach drei Monaten ein Tief. Wir wussten nicht, was wir mit unserer Zeit anfangen sollten. Trotzdem bereue ich die Zeit in Tansania nicht (Eva arbeitete als Freiwillige in einem Internat, einer sogenannten Boarding School). Ich habe viel gelernt, zum Beispiel Suaheli, aber trotzdem kam der Punkt, an dem wir da raus mussten. In den Ferien sind wir öfters nach Kampala gefahren, der vergleichsweise internationalen Hauptstadt von Uganda. Wir haben dann die Stadt und echt coole Leute kennengelernt.
Dort habe ich auch Jonas, einen professionellen Tänzer und Choreographen, getroffen, der dort eine Dance Company hat. Die Unterschiede, Armut und Reichtum betreffend, sind in Kampala extrem. Auf der einen Seite wird man mit schrecklichen Slums konfrontiert und auf der anderen mit schicken Hotels und Superreichen. Das hat mich aber wiederum auch ein bisschen „inspiriert“. Ich kam mit einem Straßenkinderprojekt in Kampala in Kontakt und konnte es so deichseln, dass ich dort mitarbeiten durfte. So bin ich nach acht Monaten in Tansania nach Kampala gezogen und habe dort angefangen, im Straßenkinderprojekt zu arbeiten. Jonas kommt selbst von der Straße. Eigentlich hatte er ein ganz gutes Leben, aber dann saß er von einem auf den anderen Tag mit seinem Bruder auf der Straße. Durch ein britisches Projekt ist er letztendlich dahin gekommen, wo er heute ist. Er ging auf eine angesehene Schule für Kinder mit besonderen Talenten.
In der Zeit ist dann die Idee für EWAKA entstanden?
Genau. Wir haben beide mit Straßenkindern gearbeitet. In Kampala gibt es schätzungsweise 10.000. Es war uns schnell klar, dass wir Kindern, die sich in absoluten Notfallsituationen befinden, helfen wollen – ihnen wenigstens Essen und ein Dach über dem Kopf zu finanzieren und den Schulbesuch zu ermöglichen. Das war so die erste Vorstellung. Dann haben wir ein Haus gemietet und Sponsoren in Deutschland angesprochen. Ich habe vorerst die Miete für ein Jahr bezahlt und ein paar Säcke Reis und Bohnen besorgt.
Du hast aus Uganda in Deutschland nach Geld gefragt. Damals warst du 19. Haben sich die Leute nicht gefragt, ob du das überhaupt ernst meinst?
Ich habe vor allem Leute angesprochen, die mich gut kennen. Verwandte und Freunde. Ich habe von Beginn an darauf geachtet, das Projekt transparent zu halten. Ich habe Briefe und Bilder verschickt, damit alle wissen, was ich mache. Das hat sich bewährt. Relativ zur gleichen Zeit haben wir mit den Schulprogrammen in Deutschland angefangen.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit deutschen Schulen?
Im Dezember 2014 bin ich zurück nach Deutschland gereist. Ich hatte schon von Uganda aus angefangen die Schulprogramme zu planen und mit Jonas überlegt, der schon öfters mit seiner Company durch Deutschland getourt ist, ob es nicht toll wäre, einen interkulturellen Austausch zu organisieren, vor allem weil die meisten Deutschen wenig über die ostafrikanische Kultur wissen. Meine Mutter war Lehrerin an einer Kasseler Grundschule und da hatte ich gleich einen Kontakt. Ich habe einfach angefragt, ob sie nicht Lust hätte, mit ihrer Schule an dem Projekt teilzunehmen und sie hat ja gesagt. Das Schulprogramm sah dann ungefähr so aus: Wir haben Landeskunde unterrichtet; wie sieht das Leben in Uganda aus?
Je nach Alter sind wir auf bestimmte Themen eingegangen. Mit den Älteren haben wir beispielsweise über Krieg, Kindersoldaten und Beschneidung geredet. Die jüngeren beschäftigten sich mit dem Thema Armut. Inbegriffen sind Fragen wie: Wie leben Kinder in eurem Alter da? Und was heißt das, wenn man arm ist? Außerdem haben wir Bastel-, Kostüm- und Kochworkshops gegeben. Wir haben getanzt und getrommelt. Alles natürlich bilingual, dass mögen die Schulen immer besonders gerne.
Hast du das Gefühl, bei den Workshops in Deutschland die Kinder nachhaltig zu erreichen und ein echtes Interesse für die ostafrikanische Kultur zu wecken?
Ja sehr. Es kommen heute noch Lehrer auf mich zu, die sagen, dass die Kinder immer noch davon reden und auch Schulen, mit denen wir bereits zusammen gearbeitet haben, melden sich und spenden erneut. Man merkt echt, wenn man aus dem Frontalunterricht rausgeht und die Kinder mit Bewegung und Leuten, die direkt vor Ort leben, in Verbindung bringt, dass das richtig gut ankommt und ein Interesse geweckt wird. Auch gibt es Schulen, die das Programm jetzt in ihren Lehrplan integriert haben. Jede Schule hat bis jetzt gesagt, dass sie das wieder machen möchte. Seit zwei Jahren machen wir das Schulprogramm jetzt und es baut sich weiterhin auf.
EWAKA lebt von Spenden. Was genau passiert mit den Spendengeldern?
Von den Geldern konnten wir uns leisten, ein Grundstück zu kaufen und haben dieses samt Haus peu à peu aufgebaut. Heute leben dort 30 Kinder. Es gibt verschiedene Patenschaftsmodelle: persönliche Patenschaften sowie Leute, die nicht in engen Kontakt mit ihrem Patenkind stehen, es aber mit finanziellen Spenden unterstützen wollen. Außerdem profitieren wir natürlich auch von Sachspenden.
Was mir wichtig ist: Ich möchte, dass die Leute nachvollziehen können wohin ihr Geld fließt, da ich selbst sooft vor Ort erlebt habe, dass Spenden hinterzogen werden. Man versucht Projekte finanziell schlecht zu halten, nur damit die Leute weiter spenden. Jonas und ich haben von Anfang an gesagt, dass das auch anders geht und wir unser Projekt offen gestalten werden. Wir unterstützen aber nicht nur Kinder in unserem Projekt, sondern auch deren Familien. Zum Beispiel durch Mikrokredite. Diese ermöglichen unter anderem die Realisation von einem eigenen kleinen Gewerbe. Die absoluten Notfälle sind dann bei uns diejenigen, die nicht mehr zu Hause leben können.
Kannst du einen bestimmten Betrag nennen, mit dem man einem Kind konkret helfen könnte?
Den kleineren Kindern ist mit 40 Euro im Monat geholfen. Durch diesen Betrag werden Schulgebühren, Essen und medizinische Versorgung abgedeckt. Die größeren benötigen 50 Euro monatlich, um rundum versorgt zu sein. Die Schule kostet immer mehr für die älteren Kinder. Mit der Patenschaft und einer Spende von 40 Euro im Monat können wir ein Kind von der Straße holen, das dann bei uns im Projekt leben kann und dort alles bekommt, was es braucht.
Du hast ja erzählt, dass du schon immer sehr sportlich warst. Wie verbindest du Sport und Pädagogik in EWAKA?
EWAKA ist, was das angeht, relativ breit gefächert. Unser Fokus liegt auf der Förderung der Kinder im künstlerischen, musikalischen sowie sportlichen Bereich. In EWAKA haben wir vier Sport FSJler des ASC Göttingen, die mit unseren Kids sportlich engagieren. Das ist mir auf jeden Fall wichtig, da Sport verbindet und es genau in der Zeit nicht darauf ankommt, wo man herkommt, ob man arm oder reich ist. Das hat mich immer glücklich gemacht. Alle sind ausgelassen und vergessen für ein paar Minuten die Herausforderungen, die ihnen das Leben stellt. Pädagogisch gesehen ist das bei uns eine Art kulturelle Mix-Erziehung. Das nenne ich jetzt einfach mal so. Unsere Hausmütter erziehen nach der ugandischen Art und Weise, wobei Gewalt bei uns im Projekt absolut verboten ist. Dann haben wir den Einfluss der Freiwilligen, die das Ganze eher mit deutscher Fasson angehen und Jonas und mich, die für die Kinder Vorbilder sind und bei denen sie keine Widerworte geben. Ich glaube aber, dass man ugandische Kinder schlecht mit deutschen vergleichen kann, da sie ganz andere Hindernisse in ihrem Leben haben und in einer anderen Umwelt aufwachsen.
Was sind Ziel und Vision von EWAKA?
Ich glaube, dass die Kinder, wenn sie das Projekt verlassen, Chancen haben sich selbst zu versorgen und die Gabe, sagen zu können, dass sie später auch Leute unterstützen möchten. Ich wünsche mir, dass die Kinder bei uns lernen und etwas mitnehmen und auch den Willen entwickeln, Uganda zu unterstützen und die positiven Erfahrungen, die sie bei uns gesammelt haben, in ihrer Heimat weitergeben möchten.
Woher kommt das große Interesse, die Motivation und Kraft in so jungen Jahren schon so etwas auf die Beine zu stellen ?
Das haben mich schon viele gefragt. Ich weiß gar nicht so genau. Ich glaube, ich habe das von meiner Mama, die ist nämlich auch eine Powerfrau. Sie hat mich und meine drei Schwestern alleine groß gezogen. Ich kenne das von Zuhause, dass man mit anpackt und jeder seine Rolle hat. Als ich dann in Afrika gelebt habe, ist mir aufgefallen, wie selbstverständlich die meisten Dinge in Deutschland sind. Mich verärgert immer wieder, wie hier die Leute meckern und nichts schätzen können. Ich fühle mich richtig wohl in Uganda. Die Leute sind dankbarer. Wenn ich die positive Entwicklung unserer Kinder sehe, dann denke ich immer „Let’s go on“!
Aber es ist auch nicht alles so leicht. Ich hatte auch Momente, in denen ich dachte, dass ich alles hinschmeißen will. Es ist mir zuviel, ich will nicht mehr, Schulen haben abgesagt, Gelder waren nicht da. Aber dann kommt immer jemand, der einen aufbaut. Seit einem halben Jahr ist es jetzt so, dass wir ein gutes monatliches Budget haben und unser eigenes Haus, das spart viele Kosten.
Wird EWAKA expandieren?
Jonas Traum ist es, dass wir mal selbst Freiwillige aus Deutschland nach Uganda entsenden. Aber ich weiß, dass das in Deutschland ziemlich schwierig ist. Zurzeit betreuen wir aber auch Freiwillige des ASC Göttingen aus anderen Projekten in Kampala, Jinja (beides Städte in Uganda), Tansania und Ruanda. Außerdem haben wir vor, das Gelände so zu gestalten, sodass wir uns selber versorgen können. Wir wollen Bildungsstätten aufbauen: eine Computerschule, Schreinerei, Näherei und einen Bauernhof. Die Kinder sollen das alles lernen, gleichzeitig in die Schule gehen und wenn sie dann auf eigenen Beinen stehen, haben sie gleich mehrere Möglichkeiten und größere Chancen im Leben.
Text und Interview: Lola Grunert