Besonders jetzt, im langen deutschen Schmuddelwinter, mag der Gedanke gelegentlich durch so manches Großstadtelternhirn wabern. Wie wäre es eigentlich, wenn die Kinder wenigstens temporär viel freier aufwachsen könnten, das Meer immer nur einen Katzensprung entfernt, in idyllischer Natur, mit viel Licht und Weite, das Wetter und die Menschen freundlicher?
Ola hat mit ihren Zwillingsjungs Konstantin und Ferdinand, Koko und Ferre genannt, den Schritt gewagt und ist von Berlin an die Algarve gezogen. Ihre Devise: Nicht nur davon träumen, mit Kindern nach Portugal umzusiedeln, einfach mal machen!
Mit Kindern nach Portugal – auch was für uns?
Klingt verlockend. So richtig für immer auszuwandern, steht bei uns zwar nicht auf der Agenda. Zu gerne leben wir in Berlin, zu sehr schätzen wir die Großstadt mit ihrem kulturellen Angebot. Aber für einen gewissen Zeitraum mit den Kindern in einem anderen Land zu leben, vorzugsweise sonnenverwöhnt am Meer, könnten wir uns durchaus vorstellen. Was dann aber auch gleich aufkommt, sind eine Menge Fragen.
Wie ist es dann mit Schule, Sprache, Steuern und Co.? Und vor allem, wie es ist es wirklich, in so einem Urlaubsparadies Alltag zu leben? Also besuchen wir die kleine Familie nach ein paar Monaten in ihrem neuen Zuhause in der Nähe von Tavira und machen uns ein eigenes Bild von ihrem dortigen Leben.
Wie war der Start?
Wenn Ola heute zurückschaut, fragt sie sich, warum sie den Schritt eigentlich nicht schon früher gemacht hat. Alleinerziehend mit zwei ausgesprochen abenteuerlustigen und bewegungshungrigen Jungs in einer gefühlt immer kleiner werdenden Wohnung, je größer Koko und Ferre wurden, hatte Ola kein leichtes Leben in den letzten Jahren. Die Pandemie und die nervenzehrenden Lockdown-Zeiten taten ihr Übriges, den Entschluss reifen zu lassen, Deutschland und das Großstadtleben zumindest für eine gewisse Zeit hinter sich zu lassen. Für sie ein Experiment mit offenem Ausgang.
Bei der Landung der drei in Faro im Herbst 2021 tobte ein krasses Gewitter. Doch ab dann schien die Sonne von Tag eins an durchgehend, monatelang. Immer strahlend blauer Himmel, das Licht, die Luft, die Farben, die Gerüche – nach der kräftezehrenden Zeit, die hinter ihnen lag, atmeten und blühten Mutter und Söhne in dieser Umgebung schnell auf.
Portugal lockt aber nicht nur mit Licht und Wärme, auch mit niedrigen Lebenshaltungskosten – mal abgesehen von der Hochsaison. Ola konnte sich jedenfalls erstmal bis zum Sommer – wenn Urlauber:innen einen vielfachen Preis zahlen – zu einer günstigen Monatsmiete in eine Ferienhausanlage mit Pool einmieten.
Das weiß getünchte Häuschen mit Dachterrasse, großem Garten und uraltem Olivenbaum als Kletterparadies für die Kinder bietet soviel Platz wie sie niemals zuvor hatten.
Was braucht man, um in Portugal zu arbeiten?
Wer wie Ola dank digitaler Kommunikationsmittel von überall arbeiten kann, wo es stabile Internetverbindungen gibt, hat es leichter, sich auf dieses Abenteuer einzulassen, ohne gleich alle Brücken abzubrechen. Grundsätzlich haben alle Unionsbürger:innen und ihre Familienangehörigen das Recht, sich innerhalb der EU frei zu bewegen und aufzuhalten, sofern sie eine gültige Krankenversicherung und ausreichend finanzielle Mittel für den Lebensunterhalt nachweisen.
Die portugiesische Regierung bemüht sich gezielt um die sogenannten „digital nomads“ und Start-Ups. Mit dem im Oktober 2022 eingeführten „Digital Nomad Visa“, erhalten auch Nicht-EU-Bürger:innen eine einjährige Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie als Selbstständige oder Angestellte ausländischer Firmen mindestens das Vierfache des portugiesischen Mindestlohn, der für 2023 auf monatlich 760 Euro erhöht wurde, verdienen.
Wie macht man es mit schulpflichtigen Kindern?
In einem Punkt hatte die Pandemie auch ihr Gutes: Homeschooling bzw. Online-Schulunterricht ist inzwischen erprobter und hat an Akzeptanz gewonnen. So wurden Koko und Ferre von ihrer deutschen Schule freigestellt, da sie an einer anerkannten internationalen Onlineschule eingeschrieben waren. Es sind allerdings immer individuell abzusprechende Beurlaubungen.
In Deutschland herrscht Schulpflicht mit Anwesenheitspflicht und das Schulwesen ist Ländersache mit unterschiedlichen Richtlinien und Urteilen zu längerfristigen Schulbefreiungen. Verlegt man seinen Wohnsitz von Deutschland nach Portugal, verliert man den Anspruch auf Kindergeld. Allerdings haben alle Kinder und Jugendliche mit Wohnsitz in Portugal einen Anspruch auf das portugiesische Kindergeld, wenn das Familieneinkommen eine bestimmte Einkommensstufe nicht überschreitet.
Neues Zuhause mit neuen Lebensmustern und mehr Bewegungsspielraum für Mutter und Söhne
Als wir sie im Februar 2022 besuchen, haben sich Ola und die Jungs schon richtig gut eingelebt, Koko und Ferre gehen nun auf eine internationale Schule in der Nähe, haben dort neue Freund:innen gefunden, genießen die bunt aus aller Welt zusammengewürfelte Gemeinschaft und sagen unisono auf die Frage, ob sie etwas vermissen: „Nein, es ist hier viel, viel besser als in Berlin!“ Vor allem aber hat sich für ihre Mutter ein bereichernder Freundeskreis gebildet.
Im Kern besteht er aus drei Familien, darunter Sibylle und Janos mit ihren Kinder Mara und Levi, die wir wir bei einem gemeinsamen Essen treffen.
Für uns, aus dem Berliner Grau-in-Grau-Nieselregenwinter kommend, unfassbar, plötzlich im T-Shirt an einer langen Tafel in Olas Garten in der Sonne zu sitzen, zu plaudern und köstliches frisches Obst und Gemüse zu essen – für sie Alltag.
Wie findet man Anschluss?
Ola hatte damit so gar nicht gerechnet – wie schnell man sich in einem neuen Sozialgefüge angekommen und gut aufgehoben fühlen kann. Wobei sich in ihrem Fall alte Kreise neu geschlossen haben.
Ola und Sibylle kennen sich schon seit ihren Jugendtagen in Nürnberg, hatten sich aber eine ganze Weile nicht mehr persönlich getroffen. Dass sie in Portugal in die unmittelbare Nähe von Sibylle ziehen würde, war Ola zunächst gar nicht bewusst. Nach dem ersten Wiedersehen intensivierte sich flugs ihre Freundschaft. Eine weitere glückliche Fügung, so hatte Ola eine Vertraute an ihrer Seite, die sich schon gut vor Ort auskannte.
Die Modedesignerin Sibylle zog 2019 mit ihrer Familie nach Portugal in die Nähe der Produktionsstätten ihres Modelabels Liilu. Zum Teil aus ähnlichen Beweggründen wie Ola, um ihren Kindern ein naturnahes, freies Aufwachsen am Meer zu ermöglichen, zum anderen erleichterte es ihr und Janos das Arbeiten. Sie wagten den Schritt mit Mara und Levi, damals neun und fünf Jahre alt, nach Portugal ebenfalls erstmal auf Probe.
Die Kinder waren es von klein auf gewohnt, viel zu reisen, verschiedene Kulturen zu erleben und lebten sich sehr schnell ein. Auch Sibylle und Janos fanden rasch Anschluss, über die Schule der Kinder und ihre beruflichen Kontakte.
So sei auch die Erfahrung der meisten Leute in ihrem Umfeld, dass sich über die Kinder schnell neue Kontakte ergeben. Viele Modelabel lassen in Portugal produzieren und fotografieren, es haben sich etliche Designer:innen und andere Kreative hier niedergelassen. Ein Umfeld, im dem sich auch Ola, die ursprünglich ebenfalls aus der Modebranche kommt, wohl und inspiriert fühlt.
Macht es einen Unterschied, wenn man nur auf Zeit mit Kindern nach Portugal umsiedelt?
Obwohl sie nun schon seit ein paar Jahren sehr glücklich in ihrem kleinen Paradies leben, legen sich Sibylle und Janos nicht darauf fest, für immer dort zu bleiben. Die Kinder auf eine internationale Schule zu schicken, war eine bewusste Entscheidung, um sich alle Möglichkeiten offen zu halten, eines Tages möglichst unkompliziert weiter- oder zurück nach Deutschland ziehen zu können.
Damit einhergehend bewegen sich die Familien aber vorwiegend in einer, wie sie es selbst nennen, „Expat-Bubble“. Kontakt zu einheimischen Kindern haben Mara, Levi, Koko und Ferre kaum und sprechen zwar fließend Englisch, aber nur wenig Portugiesisch.
Sibylle meint, dass es eine grundlegend andere Entscheidung ist, voll und ganz auszuwandern und zu versuchen, sich in die örtliche Gemeinschaft zu integrieren und die Kinder mit Portugiesisch als Unterrichtssprache aufwachsen zu lassen.
Wie ist es, in einem Urlaubsparadies zu leben?
Sibylle gründete Liilu 2016, nachdem sie Wirtschaft studiert und Jahre in der Modebranche für Erwachsene gearbeitet hatte. Schon ihr erstes eigenes Liilu-Stück, das sie aus einem Bettlaken schneiderte, verkörperte die Grundsätze, die ihr Label ausmachen: Lange haltbare, mitwachsende Kinder- und inzwischen auch Erwachsenenkleidung aus Naturfasern, zeitlos schöne Schnitte und Farben, fair produziert.
Die Suche nach einem passenden Ort für das Fotoshooting ihrer ersten Kampagne brachte sie in die Region, die sie als Familie wochenlang erkundeten und sich auf Anhieb in ein Bauernhaus mit Panoramablick bis zum Ozean verliebten.
Kurzentschlossen mieteten sie es als Ferienhaus und kehrten nach Deutschland zurück, noch nicht ahnend, dass sie nur drei Monate später die Entscheidung treffen würden, nach Portugal umzusiedeln. Das Gebäude liegt auf einem Hügel inmitten eines riesigen Gartens.
Dadurch, dass Haus und Büro nicht weit voneinander entfernt liegen, können Sibylle und Janos teilweise auch mehrmals täglich zwischen ihren Rollen als Unternehmer:innen und Eltern hin und her wechseln. Man hört der energiegeladenen Frau gerne zu, wenn sie von ihrem Label, ihrer kreativen Arbeit und ihrem Leben erzählt.
„Das Leben an der Algarve hat seinen ganz eigenen Rhythmus.“
Sibylle schwärmt von der allgegenwärtigen Natur, wie Oliven-, Orangen- und Feigenbäume während der Blütezeit ihre Düfte verströmen. Für ihre Designs lässt sie sich von Bildern aus dem Alltag in Portugal inspirieren, wo nach ihrer Auffassung alles einfach und rein ist. Die Farben der Natur, die sich sich jeden Tag aufs Neue ändern, geben ihr Kraft, Ruhe und inneren Friede
Ist das Leben am Meer wirklich ein Traum?
Es klingt fast zu gut, um wahr zu sein, aber tatsächlich ist es ein besonders schönes Fleckchen Erde, an dem sie sich niedergelassen haben. Die Städtchen Tavira und Olhão mit fliesengeschmückten Häusern und die vorgelagerten Sandbankinseln mit ewig langen Stränden bieten den Familien eine Vielzahl an fantastischen Freizeit-Möglichkeiten.
Während der Sommerferien, die in Portugal drei Monate andauern, kehren Ola, Koko und Ferre kurz nach Berlin zurück, um ihre alte Wohnung endgültig aufzulösen. Als wir sie erneut treffen, fremdeln die Zwillinge fast ein bisschen mit ihrer einstigen Heimatstadt. Auch ihre Mutter kann sich das Leben in der Großstadt nicht mehr für sich vorstellen, es ist ihr alles zu viel, zu hektisch und die Jungs sind unausgeglichener. Nach fast einem Jahr scheint das Leben am Meer jedenfalls noch nichts von seinem Reiz verloren zu haben. Die drei erzählen mit gleichbleibender Begeisterung von ihrem sonnigen Alltag.
Jeden Tag nach der Schule geht es entweder an den Strand oder zu einer der sportlichen Aktivitäten, an denen die Zwillinge und ihre Freund:innen Gefallen gefunden haben: Reiten, Boxen, Tennis oder einfach nochmal in den Pool der Ferienanlage hüpfen. Gemeinsam mit Mara, Levi, Sibylle und Janos unternehmen sie auf dessen Boot Ausflüge zu anderen Stränden.
In unterschiedlichen Konstellationen treffen sie sich im zum Essen mal hier, mal dort. Immer ist ein Haufen Kinder dabei, die dann spontan bei den anderen bleiben oder zu ihnen mitkommen, ohne dass aufwändige Verabredungen nötig sind. In ihrer direkten Umgebung können sich die Kinder frei bewegen, ohne dass sich ihre Eltern Sorgen machen müssen.
Nachdem die Schule in Deutschland immer viel Stress für Ola, Koko und Ferre verursacht hatte, ist die Atmosphäre an der internationalen Schule in Portugal deutlich entspannter. Natürlich kostet die Privatschule einiges an Schulgeld, das aus Olas Sicht aber gut investiert ist. Ihr ist bewusst, dass andere Eltern sich vielleicht mehr Leistungsdruck wünschen, sie selbst aber glaubt fest daran, dass Kinder ihre Entwicklungsschritte schon machen, wenn sie dafür bereit sind. Sie ist dankbar, dass Koko und Ferre dort nicht unter Druck gesetzt werden.
Und wo ist der Haken?
Ola konnte in Berlin alleinerziehend mit den kleinen Kindern wenig ausgehen oder am Kulturleben teilnehmen, daher vermisst sie es nicht und genießt die Ruhe in ihrem neuen Leben. Aber für unternehmungslustige Menschen kann es schon zu ruhig und langweilig werden.
Wenn wir darüber nachdenken, ob es ein Schritt für uns wäre, beschäftigt uns am meisten die Frage, ob wir uns vorstellen könnten, in einem Land zu leben, ohne wirklich in dessen Sprache und Kultur einzutauchen.
Wie behütet und fernab von Sorgen und Stress sie es sich in ihrer Blase eingerichtet hat und wie wenig sie bislang von der Armut und dem durchaus schwereren Leben etlicher Portugies:innen, mitbekommen hat, wird Ola deutlich, als sie sich bei der Gemeinde und verschiedenen Ämtern anmeldet.
Mit Kindern nach Portugal – soll man es wagen?
Die Frage, ob sie den Schritt genauso nochmal machen würden, bejahen sowohl die Kinder als auch Sibylle und Ola. Übereinstimmend sind die beiden der Meinung, mit dem Umzug aufs Land in Portugal, in die Nähe zum Meer, das Beste für ihre Kinder getan zu haben, um sie mehr mit der Natur in Verbindung zu bringen. Und möchten es allen Familien mit ähnlichen Träumen und Sehnsüchten ans Herz legen, es einfach mal zu wagen, zu neuen Ufern aufzubrechen.
Ihr wollt nicht auswandern, aber schöne Familienurlaube erleben?
Reisen mit Kindern