26.05.2018 – Es war die persönliche Verzweiflung, die Katharina Mahrt zusammen mit den anderen Initiatoren der Demo Kita Krise dazu bewogen hat, endlich etwas gegen den Kitaplatzmangel in Berlin zu unternehmen. Was es mit der Kitakrise auf sich hat und warum wir am Samstag, 26. Mai, alle auf die Straße gehen sollten, erzählt sie im Interview.
Rund 2.500 Kinder bekommen diesen Monat keinen Kitaplatz, obwohl ihre Eltern einen Kitagutschein haben. Und der Betreuungsplatzmangel wird Prognosen zufolge noch weiter steigen. Trotzdem beschwichtigt die Politik. Woher kommt die Kitakrise?
Die Prognose der Bevölkerungsentwicklung in Berlin war schlichtweg falsch: vor sieben Jahren hat man sogar noch Kitaplätze gestrichen! Berlin ist beliebt, der Zuzug hoch, die Geburtenrate nach wie vor auch. Dazu kommen versteckte strukturelle Änderungen wie die steigenden Mieten, aufgrund derer viele private Tagespflegeeinrichtungen nicht mehr wirtschaften können, oder der Fachkräftemangel auf dem Bau, der dazu führt, dass Ausbauten noch nicht fertig gestellt wurden.
Die Planungsstelle des Bezirksamts Neukölln hat letztens ihre Zahlen vorgestellt: es sind 500 Kitaplätze, die aktuell allein in Neukölln fehlen – und in 2 Jahren werden es 2.000 sein. Das heißt: wir sind erst am Anfang der Kitakrise. Wir brauchen dringend bessere Arbeitsbedingungen für Erzieher*innen, Räume für Kitas müssen bereitgestellt, Eltern und Kitas bei der Suche nach freien Betreuungsplätzen unterstützt werden.
Dein Sohn ist jetzt 17 Monate alt und ihr habt erst im Nachrückverfahren einen Betreuungsplatz für August bekommen. Wie war deine Kitaplatzsuche?
Ich bin schon in der Schwangerschaft losgegangen und habe mich auf 20 Wartelisten setzen lassen – das ist noch nichts, die Petitionsführerin stand sogar auf 100 Wartelisten. Und bei allen Kitas hieß es gleich: es sind übrigens schon 400 Leute auf der Warteliste, oder die nächsten zwei Jahre sind wir schon voll. Und dann sollten wir uns alle acht Wochen melden, um den Wartelistenplatz zu bestätigen und uns wurden die dicken Ordner gezeigt voller Grußkarten und persönlicher Bewerbungsbriefe anderer Eltern. Da fällt man natürlich in Panik.
Und das Schlimme ist dann auch noch die Unplanbarkeit, du weißt ja nie: bekomme ich eine Zusage, klappt das mit dem Platz? Und wenn ja: wann? Da ist dann die Frage, wie verständnisvoll ist dein Arbeitgeber? Der kann dir deinen Arbeitsplatz ja nicht unbegrenzt freihalten. Ich musste, weil wir keinen Betreuungsplatz hatten, meine Elternzeit um 8 Monate unbezahlt verlängern.
Was das an struktureller Benachteiligung gerade und vor allem für die Mütter bedeutet, kann man sich denken. Bei uns ist es so: mein Partner verdient mehr und ich hätte mit allein meinem Gehalt unsere Familie nicht ernähren können. Damit ist klar, wer zu Hause bleibt. Was eine gleichberechtigte Partnerschaft betrifft, haben wir einfach noch nicht die Freiheit zu wählen, auch wenn wir uns das aus Frauenperspektive heraus wünschen würden. Aber die momentane Betreuungssituation lässt das noch nicht zu.
Du bist dann einen eher unüblichen Weg gegangen, um einen Kitaplatz bekommen.
Ich habe letztendlich geklagt auf einen Kitaplatz und auch Recht bekommen, das Oberverwaltungsgericht hat entschieden, dass uns innerhalb von fünf Wochen ein Kitaplatz mit maximal 30 Minuten Anfahrtszeit zugewiesen sein muss. Aber diesen Platz haben wir letztendlich nicht in Anspruch genommen, wir sind jetzt in einer anderen Kita nachgerückt. Ich hätte auch kein gutes Gefühl gehabt.
Die Erzieher*innen sagen natürlich, dass das Kind nicht benachteiligt wird, wenn man sich einklagt. Aber die Kitaleiter*innen sind trotzdem entsetzt, dass sie diesen Rechtsanspruch ausbaden müssen. Sie können sich ja nicht dagegen wehren, sie können nur überbelegen, strukturell ändert der Rechtsanspruch allein ja noch nichts. Und das kann doch kein Zustand sein. Wir reden von der schwarzen Haushaltsnull und überlegen, wohinein investieren wir nur – es ist jetzt an der Zeit und liegt auch in der Verantwortung der Eltern, Kitabetreuung als Bildung zu begreifen und dafür auf die Straße zu gehen.
Dabei hättest du auch einfach zufrieden mit deinem Kitaplatz-Happy End sein können.
Es ist keine Option für mich, zu sagen: ich bin noch einmal davongekommen, ich lege die Hände in den Schoß. Ich treffe in Neukölln, wo wir leben, auf den Spielplätzen viele Eltern, die seit 2, 3 Jahren auf einen Kitaplatz warten. Das sind dann häufig Eltern, die Nicht-Muttersprachler sind und dementsprechend schon allein sprachlich weniger Ressourcen haben, sich hinter die Suche zu klemmen. Aus meiner in dieser Hinsicht privilegierten Position heraus verstehe ich es auch als meine Aufgabe, solidarisch zu kämpfen. Die Kitaplatzsuche sollte nicht in Konkurrenz unter den Eltern ausarten. Es muss einen Kitaplatz für jedes Kind geben.
Und wir sind überrascht, wie sehr wir offenbar den Nerv der Zeit getroffen haben. Wir dachten anfangs: gut, es werden sich wohl ein paar Hundert melden, so wie in Leipzig, die Demo dort war unser Vorbild. Aber inzwischen gibt es schon 3.500 Teilnehmer*innen, die sich zur Demo angemeldet haben, und es werden immer mehr.
Und wie reagiert die Politik auf euch?
Wir bekommen jetzt Diskussionseinladungen (z.B. heute Abend: „Kita verzweifelt gesucht“ im RBB: 17.05. um 21:00 Uhr), aber Lösungsvorschläge gibt es so noch keine. Was viel passiert in der Politik: dass immer wieder darauf hingewiesen wird, wieviel doch schon getan wird, da wird dann auf die bundesweite Fachkräfte-Initiative verwiesen, und dass man auf den Quereinstieg setzt, aber das umfasst die Problematik nicht annähernd.
Wir stoßen die Debatte an als „Elternlobby“, die es so ja noch nicht gab, und wir sehen es auch ein bisschen als unseren Erfolg an, dass das Thema jetzt überhaupt so viel in den Medien ist. Dabei geht es uns nicht darum, zu sagen, wer und wer wann und wann was falsch gemacht hat. Wir wollen in die Zukunft sehen und einfach gemeinsam die Sache angehen.
Danke für das Interview! Wir sehen uns am Samstag, 26. Mai 2018!
Mitmacher*innen, Förder*innen, Unterstützer*innen sind gesucht und willkommen und finden hier zur Homepage der Initiative Kita Krise Berlin.
Hier könnt ihr die Petition „Wir brauchen Kitaplätze! JETZT!“ unterschreiben.
Und hier kommt ihr zur Facebook Seite der Demo Kitakrise.
Und hier findet ihr weitere Porträts von Persönlichkeiten, die in Berlin etwas bewegen:
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